In Bottrop zahlt man mit Zloty

Im Ruhrgebiet überschneiden sich viele Dinge im deutsch-polnischen Verhältnis zu sehen am Beispiel der Stadt Bottrop

Polenkloster in Bottrop

„Wöchentlich kamen 1000 Polen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, um Arbeit zu bekommen“. erzählt Stadtführerin Antje Herbst und erwähnt in den Ausführungen in einer Anekdote das sogenannte ‚Polenkloster‘ .

Das war damals im deutschen Sprachgebrauch ein besonderes Haus, eine Menage, wo bis zu 800 Männer, eben meist Polen wohnten.

Gewalt beherrschte die Enge

Neben Bier floss Schnaps und Wodka durch die Kehlen und verursachten oftmals schnell Streitigkeiten. Es gab Pistolen ohne Probleme, wie noch heute in den USA, damals einfach in einem deutschen Laden zu kaufen. Schießereien und Messerstechereien waren tatsächlich an der Tagesordnung im deutschen Kaiserreich unter Wilhelm II.

Fast täglich hatte die deutsche Justiz damit zu tun. Das Ansehen allein von Bottrop war damals sehr gering.

Bleibt Bottrop ein Dorf?

So hatte die Stadtwerdung auch wegen dem hohen Anteil von fast 80% Zuwanderung aus Polen eine starke Minderwertigkeit bei zuständigen Politikern und Behörden im preußischen Land. 25 Jahre musste Bottrop warten bis sie zur Stadt werden konnte im Jahr 1919. Ohne den Aufbau eines Verwaltungssitz wäre die Stadtwerdung wegen der Polen und fehlenden Struktur durch einfach in die Landschaft gebaute Zechensiedlungen wahrscheinlich nie möglich gewesen.

Zahlungsmittel Zloty in Bottrop?

Noch heute gibt es so manche Aussagen:

Ach, von Bottrop kommst du? Da muss man doch noch mit Zloty bezahlen. Natürlich lacht man heute darüber. Aber früher hatten die Menschen tatsächlich geglaubt, dass es so ist.

Klingelschildnamen

Heute sind polnische bzw schlesische Nachnamen auf jedem zweiten Klingelschild, Przybilla, Piotrowska oder Bartoszewski zu lesen. Viele haben Vorfahren aus Polen.

Ältestes Zechenhaus in Bottrop

In einem der ältesten Zechenhäusern von Bottrop, erbaut ca. 1875, erkennbar an den groben Steinbrüchen im Sockelbereich, lebten im Stadtteil an der Prosperstraße hauptsächlich zugezogene Polen. Die größte polnische Kolonie in Bottrop hieß Engelbert.

Türken und Polen

Heute leben dort hauptsächlich in den 1960er und 1970er Jahren zugezogene Türken. Sie haben eigene Läden zur Lebensmittelversorgung, Imbiss, die sogenannten Dönerbude, eine Deutsch-türkische Spezialität mit Rind-oder Putenfleisch und verschiedenen Salaten mit einer scharfen oder Knoblauchsauce gewürzt in einem halben Fladenbrot gelegt, die es so nicht in der Türkei gibt.

Moscheen statt Katholische Kirchen

Wo früher katholische Kirchen durch die Polnischen Einwanderer wie Pilze aus dem Boden wuchsen, sind heute versteckt in normalen Häusern die Moscheen. Der Bau einer richtigen Moschee ist in Bottrop bis jetzt noch nicht geschehen aber im Gespräch.

Urlaub in Polen statt auf Malle

Das polnische Blut fließt allerdings mittlerweile in vielen deutschen Nachfahren vor allem im Ruhrgebiet in den Adern, egal zu wieviel Prozent.

Es gibt den ein oder anderen, der die Geschichte der Herkunft mittlerweile gerne wissen möchte. Da wird dann ein Urlaub auch mal in Polen geplant und nicht auf Mallorca.

Podcast I +Fotogalerie I +Podcastfilm I Der Ruhrpottologe fährt mit Antje Herbst eine Historische Stadtrundfahrt in Bottrop

Unterwegs auf historischen Spuren mit der Bottroper Stadtführerin

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Eine besondere Stadtrundfahrt wurde am 11. und 12.6.22 auf dem Bottroper Stadtfest angeboten. Mit Erlaubnis von Antje Herbst habe ich ihre Ausführungen aufgenommen. Erst wollte ich nur einen Bericht schreiben für den Ruhrpottologen-Blog. Aber ich entschied das Aufgenommene zu kürzen und entsprechend neugierig machend daraus auch für Nichtbottroper*innen einen Teil in einen Live-Podcast mit Antje Herbst umzuwandeln. Wer reinhört, will mehr wissen. Das geht ganz einfach: Antje Herbst nach einem Termin fragen!

Für mich war das Kürzen von mehr als zwei Stunden Material nicht einfach. Denn die Neugier Antje zu buchen sollte bleiben. Alles war Interessant. Der weggekürzte Teil bleibt im Archiv für kurze Storyklümbkes.

Antje Herbst, ehrenamtliche Stadtführerin, Kennerin ihrer Heimatstadt, erzählte dem mitfahrenden Publikum in zwei Stunden eine Menge toller historischer Anekdoten über Bottrop. Um die besondere Stadtführung durchzuführen, spendete das Bottroper Reisebusunternehmen Fischer einen Bus mit einem geschickten Fahrer für die Tour.

Antje Herbst in Aktion – Foto: André Brune

Für den Guten Zweck

5 € kostete ein Sitzplatz im Bus. Das Geld ging als Spende zu gleichen Teilen an den Wunschzauberer und das Bottroper Tierheim für den Guten Zweck. Mein Sitz plus den kurzfristig in einem Facebook-Gewinnspiel verlosten Sitzplatz zahlte ich freudig mit, wenn auch beide zugelosten Personen aus Krankheits- und Arbeitsgründen leider absagen mussten. Wer allerdings mitfuhr bekam zwei Extra-Klümbkes: Mit Sondergenehmigung mit dem Bus auf das Tetraederplateau und einen Einblick bei dem neuen Freizeiterlebnis „Eloria“ auf dem Prosper II – Gelände neben dem Malakoffturm in Welheim. Kirchhellen wurde ausgeklammert, weil es den zeitlichen Rahmen gesprengt hätte. Unwissende Nichtbottroper bzw. Zugezogene aus Niedersachsen waren begeistert allein schon vom Ausblick vom Tetraeder, das unerwartete viele Grün in der Industrieregion und die besondere bunte Pflanzenwelt auf der Halde.

Der Zustieg war am Gleiwitzer Platz, wo Antjes erste Ausführungen über die gescheiterten Theaterbaupläne der Stadt begannen.

Gleiwitzer Platz – ehemaliger geplanter Theaterplatz in Bottrop – Foto: André Brune

An der Osterfelder Straße, Ecke Heideneck, kam der Hinweis zum Bau einer Pferderennbahn, die ein Bauer als Idee zum Geldverdienen hatte. Dann bog der Bus in die Sterkrader Straße Richtung Oberhausen-Sterkrade ein.

Hier ungefähr war eine Pferderennbahn – Foto: André Brune

Kein Bahnhof für Bottrop geplant

Auf der Brücke über die Eisenbahnstrecke, die seit einigen Jahren stillgelegt wurde, erzählt die Reiseführerin einige interessante Dinge über die Planung der Strecke, die ohne den Kampf eines Amtmannes keinen Bahnhof für Bottrop vorsah. Der Nordbahnhof hatte auch mehrere wichtige Funktionen im Laufe der Zeit, die im Podcast erzählt werden. Wer hätte gedacht, dass auch der Südbahnhof nicht eingeplant war?

Ehemalige Bottroper Eisenbahnstrecke direkt an die Nordsee – Brücke über die Sterkrader Straße – Foto: André Brune

Die Überraschung war groß bei allen, dass es tatsächlich möglich war vom Nordbahnhof direkt an die Nordsee fahren zu können. Eine weitere große Bedeutung war nach dem ersten Weltkrieg. Ohne den Nordbahnhof hätte die Bottroper Bevölkerung in der Besatzungszeit Anfang der 1920er Jahren nicht versorgt werden können.

Weitere Anekdoten folgten über die Birkenstraße, die so heißt, weil es in Bottrop eine Menge Birken gab und deren Rindensaft auch genutzt wurde.

Fuhlenbrock riecht faul

Antje Herbst erklärte Faszinierendes über den Stadtteil Fuhlenbrock, der trotz Zeche Prosper Haniel, keine typische Zechensiedlung besitzt. Außerdem wohnten anfangs eher Holländer statt Polen hier. Und das Goethe am heutigen Stadtteil kein gutes Haar gelassen hat in seinen Reisetagebüchern…

Holzschuhe aus Holland – eine Bottroper Erfindung?

Kaum jemand weiß, dass Bottrop ein sehr großer Holzschuhproduzent im 19. Jahrhundert war und in die Niederlande exportierte. Tatsächlich konnten 80 Familien sich von der Schuhproduktion ernähren. Bäume gab und gibt es bis heute kaum in Holland.

Förderturm Prosper Haniel während der Fahrt – Foto: André Brune

Über das Gelände der Zeche Prosper Haniel fahrend, erklärt Antje Herbst das besondere Image von Bottrop.

Was war ein „Polenkloster“ und konnte man in Bottrop mit Zloty bezahlen?

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen wöchentlich zu Spitzenzeiten, als immer mehr Arbeitskräfte gebraucht wurden ca. 1000 Zuwanderer nach Bottrop um zu arbeiten, hauptsächlich aus Polen. Es gab Zeiten, wo 90 % der Bottroper Bevölkerung Polen waren. In den Menagen, wie die Wohnheime früher hießen, wohnten zeitweise 800 Männer. Da ging es heiß her: Messerstechereien, Schlägereien, auch Schießereien. Pistolen konnten nämlich ganz normal, wie heute in den USA, in einem Waffengeschäft gekauft werden.

Stadtteil Fuhlenbrock Hans-Böckler-Straße Richtung Bottrop mit Lore – Foto: André Brune

 

Wem hat Bottrop den Parkfriedhof zu verdanken an dem wir in Richtung Dieter-Renz-Halle vorbeifuhren? Arbeitslosen

Eingang Parkfriedhof – Foto: André Brune

Auf dem Weg Richtung Museum Quadrat, an der Dieter-Renz-Halle vorbei, führte Antje Herbst uns in die 1950er Jahre, wo Bottrop eine große Nummer war im Sport. Neben dem erfolgreichen Bottroper Boxer Dieter Renz, der leider früh verstorben ist, gab es bis zu 20000 fußballbegeisterte Zuschauer im Jahnstadion und Meisterschaften im Seifenkistenrennen. Antje nahm sich keine Pause und erzählte über die Stadtwerdephase, die nicht einfach war.

Dieter Renz Halle – Foto: André Brune

Was haben Baurat Albert Lange und die Baustofffirma Bremer gemeinsam?

25 Jahre lang wurde kämpften Bottroper um die Stadtrechte. Aber das äußerliche Bild war für die Regierung nicht gut genug. Es gab keine richtige sichtbare Struktur bis Baurat Albert Lange Anfang des 20. Jahrhunderts den Grundstein für ein städtisches Bottrop legte und das Verwaltungsviertel um den heutigen Ernst-Wilczok-Platz, dem Rathausplatz, konzipierte.

Verwaltungsbau – Standesamt von Baurat Lange entwickelt – Foto: André Brune

Die Baustofffirma Bremer lieferte die Ziegelsteine, die das noch heute die stehenden Verwaltungen und das Rathaus sichtbar prägen.

Ein kleiner Halt war an der Nepomukstatur an der Randebrockstraße, wo sich Verliebte treffen sollen. Am Museum Quadrat vorbei verkündete Antje Herbst stolz, das der gebürtige Bottroper Josef Albers ein Bild in einem ganz besonderen Haus in den USA hängen hat.

Nepomukstatur an der Randebrockstraße – Foto: André Brune
Museum Quadrat

Warum „Kalter“ Eigen?

Weiter gings in die Richtung des großen Stadtteils Eigen, der unterteilt ist in „Kalter“ und „Warmer“. „Der „Kalte“ Eigen“, erklärt Antje Herbst, “ist deswegen kälter als im „Warmen“, weil im Boden ein höherer Eisenanteil vorhanden ist, der die Temperatur bis zu 2 Grad kühler werden lässt.“

Sackers und der Kommodenlack

Wenn Antje von der vor einigen Jahren abgebrannten Schnapsbrennerei schwärmt, dann von dem süßlichen Geruch von Maische, der die schwere schwefelhaltige Luft des Ruhrpotts übertünchte. Sie liebte als Kind diesen Duft nach Hopfen und Brennereien. Da durfte nicht fehlen zu erwähnen, dass es in Spitzenzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg 250 Kneipen in Bottrop gab. Auf fünf Einwohner*innen eine Kneipe.

Aegidistraße und die Kappsiedlung

Im warmen Eigen auf der Aegidistraße erzählte Antje Herbst über die Kappsiedlung. Die Namensgebung ist umstritten. Die einen Historiker meinen sie heißt so wegen des früheren Anbaus in den dortigen Gärten von „Kappes“ und die anderen meinen, dass die Bewohner der Häuser hauptsächlich am „Kapp-Putsch“ beteiligt waren.

Eigener Marktplatz mit Bunker

Die Aegidistraße wurde erst 1965 am Abwassernetz angeschlossen, was für die spielenden Kinder vorher damals trotzdem scheinbar kein Beinbruch war, wenn sie die kleinen herfließenden Bäche aufstauten um darin zu schwimmen und sich abzukühlen.

Zechenhaus Aegidistraße

Karl Ganser der Vater der Industriekultur und Haldenlandschaft

Antje Herbst erzählte auf dem Weg zum Tetraeder etwas über den kürzlich verstorbenen Karl Ganser. Er hatte die Idee, dass die Bergehalden, sowie stillgelegten Industrieanlagen zu Freizeit- und Parkanlagen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollten. Er rettete dadurch viele altgediente Fördertürme, Lohnhallen, Waschkauen, Stahlgerüste und Bergehalden, die heute Museum und Begegnungsstätte sind für Kunst, Geschichte bzw. für einen Ausflug und Ausblick in die Geschichte und Landschaft vom Ruhrgebiet. Ohne ihn wäre es nicht mal möglich zum Tetraeder zu kommen, zu dem der Bus mit einer Sondergenehmigung hochfahren konnte. Geschweige denn der Bau möglich gewesen, weil es nichtöffentliches Gelände der Ruhrkohle AG gewesen ist. Der Busfahrer war ein besonders geschickter Lenker, der uns über den kurzen, steilen und schmalen Weg sicher nach oben und wieder nach unten brachte.

Panoramablick mit Kokerei Prosper und Essener Skyline

Das herrliche Wetter ließ eine weite Sicht zu. Die Blicke schweiften bis nach Dortmund, Velbert und Duisburg. Die Essener Skyline glich Frankfurt hinter den roten Doppelbögen der A42-Brücke beim Stadtteil Ebel. Die Kokerei schnaubte in dem Moment weißen Rauch aus und verdeckte die im Hintergrund stehende neue Windkraftanlage, das Zeichen des überall stattfindenden und nötigen energetischen Wandel im Ruhrgebiet. Blauviolette und gelbe Pflanzen, fast wie die Ukrainische Flagge ragten bei den leichten Windböen sanft schwingend gen Himmel. Sie waren ein besonderes Fotomotiv mit dem Hintergrund von Skihalle, Kokerei und den Ausblick auf die Essener Skyline.

Schrebergärten für die Luftreinhaltung

Kaum einer glaubte die Anzahl von 17 Schrebergartenvereine in der kleinen kreisfreien Stadt Bottrop. Die Gründung des ersten Schrebergartenvereins war 1906. Für die Luftreinhaltung waren die Kleingartenanlagen als kleine grüne Lungen eine willkommene Lösung in der früher von Kohle und Koks produzierenden Umgebung.

Stadtteil Boy

Die Boy, früher Boye hieß, besaß ein eigenes Postamt und besondere Postkarten zeigten Häuser und Straßenzüge, auch in polnischer Sprache. Der Boyer Bahnhof wurde 1925 erbaut.  Wir fuhren zwar nicht über die Prosperstraße, aber Antje Herbst erwähnte auf dem Weg durch die Gartenstadt Welheim in Richtung Eloria die ältesten Zechenhäuser Bottrops. Sichtbar sind sie durch die groben Sockelsteine. Sie gehörten zur Kolonie Engelbert, wo früher die meisten Polen wohnten.

Ältestes Zechenhaus von Bottrop – Foto: André Brune

Sumpfiges Welheim

Welheim ist schon immer ein geteiltes Gebiet gewesen. Die fruchtbare Welheimer Mark, an der die Emscher entlang floss und die Emscherbrücher Wildpferde durchtrabten. Die Essen-Werdener Äbtissin ließ hier ihre Schweine mästen. Auf der anderen Seite im sumpfigen Welheim lag die vom Deutschen Ritterorden gegründete Kommende Welheim. Die seit dem 13. Jahrhundert viele Male angegriffen wurde. Wenn nur die Dorstener angriffen, kamen Essener zu Hilfe. Wurde gesiegt, feierten das alle kräftig und wurde „Welheimer Reise“ genannt. Was jedoch der Ursprung der Schützenvereine mit der Kommende Welheim zu tun hat, klärt Antje bei einer Führung. Diese Information habe ich absichtlich herausgeschnitten, um neugierig zu machen.

Haus in der Gartenstadt Welheim – Foto: André Brune

Antje Herbst vergisst nicht auf ihren namentlichen Herbst 2022 hinzuweisen. Denn das Historische Erlebniszentrum wird in Bottrop eröffnet. Der historische Brauchtum der Stadt und viele andere besondere Dinge werden im Rathaus mit 3D-Animation erlebbar gemacht für Jung und Alt. An diesem besonderen Konzept arbeitete Antje mit und jeder hörte den Stolz in der Stimme für dieses besondere Konzept, das auch die städtischen Schulen einbezogen hat.

Der zweite Stopp war dann am neuen Erlebniszentrum „Eloria“. Der angeschlossene Open Air Bereich das „Zechentreff“ lud zum Verweilen ein. Der Malakoffturm  von Prosper II war das besondere Fotomotiv beim Zwischenhalt.

Malakoffturm Prosper II mit Erlebnisfabrik Eloria

Lyrische Texte für ein Bottroper Wasserschloss

Nach einigen Minuten ging es weiter über die Straße „Auf der Knippenburg“. Auf dem Gelände der wirklichen Knippenburg steht heute das große Lagerhaus von Deichmann. Eine besondere Anekdote erfuhren die Mitfahrer*innen:

Die befreundete und damals sehr berühmte Schriftstellerin Luise Hensel wurde damals in den 1820er Jahren vom neuen Besitzer, preußischem Justizkommissar und Landrat des Kreises Recklinghausen Friedrich Carl Devens eingeladen. Inspiriert von dem Wasserschloss und dem nach englischen Vorbildern gebauten weitläufigen Park schrieb sie ein besonderes Gedicht. Das Wasserschloss wurde im Mittelalter um 1340 gebaut. Devens kaufte es 1821. Doch es kamen erhebliche Bergschäden auf das alte Gemäuer zu. Der Park sackte stark ab, so dass die Pflanzen abstarben. Ein langwieriger Entschädigungsprozess beschäftigte die damalige Justiz. Die Bergsenkungen und schlussendlich die starke Beschädigung durch Bombenangriffe im zweiten Weltkrieg hinterließ nur noch eine Ruine, die Anfang der 1960er Jahre zu einem Abriss führte.

Blick aus dem Bus auf dem Weg zum Tetraeder – Foto: André Brune

Unverfänglicher Emscherblick vom Westring

Auf dem Rückweg zum Gleiwitzer Platz querten wir den Stadtteil Lehmkuhle. Antje erklärte die Herkunft und weitere Anekdoten über den Westring. Zum einen wurden dort steinzeitliche Urnen gefunden, die im Museum für Ur- und Ortsgeschichte am Quadrat bewundert werden können. Wahrscheinlich stammten sie von den ersten Besiedlern der Emscheranhöhe um den Donnerberg mit dem weitläufigen Blick ins Emschertal, der damals ohne die vielen Häuser von heute gewesen sein musste. Von der anderen Geschichte erfuhren wir von einer Gaststätte, die einen See hatte. Sie war ein besonderes Ausflugslokal für einen unverfänglichen Blick ins Emschertal bevor die Einbetonierung und Veränderungen der Landschaft diesen Blick zerstörte.

Wilde Emscher und Epidemien

Antje erwähnte auch die Epidemien von Cholera und Rur, die vor dem Umbau der Emscher in eine Betonrinne vielen das Leben kostete. Vor über 100 Jahren war die Emscher einer der wildesten Flüsse Deutschlands. Durch die ständige Zuleitung von industriellen und menschlichen Abwässern wurde die Emscher bei Überschwemmungen durch die Bakterien und Chemikalien auch der gefährlichste Fluss. Das Grundwasser nahe der Emscher wurde stark verseucht und verursachte Krankheit und Tod.

Lechzen nach mehr historischen Anekdoten

Antje Herbst hätte bestimmt noch mehr auf Lager gehabt, doch irgendwann ging auch diese tolle historische Stadtrundfahrt zu Ende. Wer Antje Herbst allerdings gerne buchen möchte, der kann dies gerne machen. Weitere Informationen gibt es weiter unten und beim Podcast in den Shownotes oder auch im „Bierchen bitte -BOTTcast mit Piet und Alex“, wo Antje Herbst in Folge #77 zu Gast war.

Antje Herbst Buchen

Im Podcast mit Piet und Alex erzählte Antje Herbst erstaunt, dass Lehrer*innen sie nicht für eine Stadtführung buchen. Das ist schade, denn so anschaulich und spannend, wie Antje es erzählt, wird es den Kindern mit Sicherheit nicht langweilig sein die eigene Heimatstadt außerhalb der zu lüftenden Klassenräume zu erkunden.

Antje Herbst buchen hier:

info@stadt-land-fluss-tours.com

Tel: 015771266060

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Mehr Informationen:

Wikipedia-Eintrag zum Haus Knippenburg mit dem Gedicht von Luise Hensel:

Haus Knippenburg – Wikipedia

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Link zum Bierchen bitte-Podcast Folge 77:

https://meinpodcast.de/bierchen-bitte-der-bottcast-mit-piet-alex/77-rent-a-kid-feat-antje-herbst

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Text/Bilder: André Brune

Moderation vom Podcast : André Brune/Antje Herbst

+Fotos I +Youtube-Interview-Video I Erinnerungsaktion für 72 gefallene Ruhrpottler beim Bottroper Rathaussturm 19.02.1919 von Sahin Aydin

Eine besondere Erinnerungs-Aktion hat mich bewegt nach Bottrop zu kommen, um den Lokalhistoriker Sahin Aydin ein wenig unter die Arme zu greifen. Leider war die örtliche Presse nicht anwesend für dieses für die Stadt so wichtige Ereignis.

Sahin Aydin wurde in der Türkei geboren und kam 1973 nach Deutschland. Seit 20 Jahren lebt er in Bottrop, setzte sich auch eine Zeitlang politisch für soziale Projekte in der Stadt ein, doch sein Hauptanliegen ist eine korrekte Darstellung der Geschichte seiner Wahlheimat, die ihm in der Türkei verwehrt bleibt als Kurde. Seit Jahren forscht er über den Bottroper Rathaussturm vom 19.02.1919. Denn dabei starben mehr als die bisher angenommen, die jedoch bis jetzt auch nicht gewürdigt wurden. In seinen bisherigen Forschungen stellt er fest, dass die Geschichte im Laufe der Zeit und vor allem durch den nationalsozialistischen Einfluss und deren mögliche Verfälschung in der Historie aller Städte in Deutschland neu aufgearbeitet werden sollte, wenn auch der Aufwand hoch ist. Es gibt zu vielen Dingen merkwürdigerweise gesperrte Akten bis Heute. Warum weiß keiner so genau. Sie werden aber unter Verschluss gehalten.

Für die weitere Erforschung dieser und anderer historischen und undurchsichtigen Ereignisse braucht es oft Kopien oder in digitaler Form weiterführende Informationen zum Zusammentragen eines korrekt angegebenen historischen Materials. So sind wichtigen Archivunterlagen im Landesarchiv und auch Bundesarchiv leider sehr teuer, wenn ein Lokalhistoriker Kopien und digitale Informationen/Fotos für die weitere Forschung mit nach Hause nehmen möchte viel Geld.

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Interview-Video I Erinnerung an 72 Gefallene beim Bottroper Rathaussturm 19.02.1919 von und mit Sahin Aydin – Film/Moderation: André Brune

Stolperstein für den ersten Oberbürgermeister nach dem II. Weltkrieg und Schlichter Ernst Ender

Sahin Aydin kann das nicht alles stemmen, denn er hat aus eigener Tasche auch schon mehrere Stolpersteine-Widmungen bezahlt. Er hat auch den neuesten verlegten Stolperstein am 9.11.2021 für Ernst Ender angeregt und bezahlt. Ernst Ender war einer der Verhandler bzw. Schlichter beim Rathaussturm. Nach der Machtergreifung der Nazis wurde er am 5.2.1938 in das Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert. Am 18.02.1941 wurde er wieder entlassen. Nach dem Krieg wurde er von den Alliierten am 1.7.1946 als Oberbürgermeister von Bottrop eingesetzt. Das Amt konnte er aber aus gesundheitlichen Gründen nur bis zum 13.10.1946 ausführen. Für Sahin Aydin ist es wichtig, dass die Geschichte richtig dargestellt wird. So wollte ich als gebürtiger Bottroper dabei sein, wie er mit 72 Luftballons an die 72 beim Rathaussturm am 19.2.1919 umgekommenen Menschen zu erinnern.

Sahin Aydin forschte in Presse- und Stadtarchiven, auch in den Nachbarstädten, und fand heraus, dass es mehr Todesopfer gab beim Rathaussturms. Zudem wurde in den 12 Jahren der Herrschaft der Nazis städtische Geschichten von örtlichen Historikern in ihrem politischen Sinne, auch für Propagandazwecke verändert. So wurde unter anderem für die Geschichte eine blutrünstige Legende gestrickt, wie das angebliche Zerreissen eines Kindes, das einfache Bergarbeiter bei dem Streik für mehr Lohn nach dem ersten Weltkrieg vollzogen hätten.

Chaotische politische Verhältnisse in der jungen Republik Deutschland nach dem Weltkrieg

Im Bottroper Rathaus war früher ein Polizeirevier und ein Gefängnis integriert. In diese wurden 22 Bergarbeiter der Zeche Prosper I und II am 18.02.1919 eingesperrt. Die meisten hatten einen Migrationshintergrund, denn sie waren polnische Einwanderer. Damals sagte man zu Bottrop auch „Klein-Warschau“, denn in Großteil der Bottroper Bevölkerung (1913 waren 51% Migranten) hatten damals polnische Wurzeln. Damals herrschte nach dem ersten Weltkrieg und der Abdankung des Kaisers Wilhelm II in den noch jungen Republikjahren das Chaos. Revolutionäre Umtriebe durch kommunistische Gesinnungsgenossen, wie auch die ersten Freikorps, die als Vorgänger der SA der Nationalsozialisten bezeichnet werden können, und auch Monarchistische Anhänger. Auch die in der Weimarer Republik regierende SPD nutzte diese Freikorps, um streikende Arbeiter zur Aufgabe zu zwingen. Die Wirtschaft lag am Boden. Jeder Streik, auch von anarchistischen und kommunistischen Seiten angefacht, um die Regierung zu destabilisieren, um in ihrem eigenen ideologischen Sinne, z.B. eine Räterepublik zu errichten. Den meisten Arbeiterfamilien ist die politische Gesinnung damals egal gewesen. Für sie war es wichtiger die Familie ernähren zu können. Der Umbruch in der jungen deutschen Republik sollten auch mehr Rechte und mehr Lohn für Arbeiter bringen. Auch die Frauen, die in den Kriegszeiten Männerjobs übernommen haben, die an die Front gekommen sind, wollten mehr Rechte und Lohn einfordern.

So wurden in den Anfängen der Republik Deutschland sogenannte Arbeiter- und Soldatenräte von den heimgekehrten Soldaten ohne Perspektive im eigenen Land gegründet, um eine bessere Nahrungsversorgung und mehr demokratische Rechte für die bisher unter dem Kaiser arm gebliebenen Arbeiterfamilien zu bekommen. Auch Soldaten, heimgekehrt ohne Perspektive im eigenen Land, weil sie den Krieg verloren hatten, gründeten Räte. Der langanhaltende Krieg verstärkte die Armut nur. Um es deutlicher zu machen, wie groß die Armut war ist: Ende Januar 1919 bekam jeder Bewohner von Bottrop 300 Gramm Brot und Tag und Möhren statt Kartoffeln zugeteilt. Die Lebensmittelversorgung ist nach dem Krieg seit dem November 1918 komplett zusammengebrochen. 150 Gramm Fett waren nur pro Woche und Bewohner zugeteilt. Die schlechte Versorgungslage basiert auch zum Großteil auf die Importbeschränkungen der Seeblockade der Engländer im Krieg.

Der undurchsichtige Rathaussturm

Bergarbeiter der Zeche Prosper I und II fingen Ende Januar an für mehr Lohn und Rechte zu streiken. Seit der Abdankung des Kaisers sahen sie das Streikrecht als Grundrecht an und nutzen dies auch. Gegründete Arbeiter- und Soldatenräte in Sterkrade und Mülheim haben gegründete Volkswehren, sogenannte Sicherheitswehren um Hilfe gebeten, um die 22 gefangenengenommenen Rädelsführer zu befreien, darunter waren die zum Schlichten anwesenden bekannten Persönlichkeiten anerkannter Parteien Alois Fulneczek (KAPD*), Ernst Ender (USPD**), August Banko (USDP), Ludwig Sittek (USPD) und Wilhelm Piefke (USPD). Der ihrer Meinung nach illegitim handelnden Bottroper Arbeiterrat sollte abgesetzt werden. Angehörige forderten an diesem Tag die Freilassung. Die Rathauswache fühlte sich bedroht und schoss in die Menge. Die ersten Toten pflasterten den Rathausplatz. Am Nachmittag des 19.02.1919 unterstützten Sicherheitswehren aus Oberhausen, Mühlheim und Düsseldorf die Rathauswache. Die Freilassung der Bergleute wurde wieder abgelehnt, weil der Freikorps „Lichtschlag“ Hilfe in dieser Angelegenheit angeboten hatte.

Widersprüchliche ungereimte chaotische Nachrichten kamen nach der Kapitulation der Rathausverteidiger zu Stande. Dreizehn Gefangene wurden schon bei der Gefangenschaft erschlagen. In der Essener Allgemeinen Zeitung wurde über die 25 Tage andauernde Verhandlung gegen die angeklagten Rathausstürmer berichtet: 21 Angeklagte, Zeugen, Staatsanwalt, Richter und Rechtsanwälte sind zu Wort gekommen. Elf der Rathausverteidiger fanden bei den Kämpfen den Tod, davon fünf, die erschlagen wurden. So wurde damals der Tod und die Anzahl der Rathausverteidiger instrumentalisiert, um streikende Bergarbeiter als blutrünstige Verbrecher darzustellen, die sie mit Sicherheit nicht waren. Doch insgesamt starben mehr, fand Sahin Aydin raus.

Schlichter und Verhandlungsführer Alois Fulneczek wurde umgebracht

Alois Fulneczek, war einer der Sprecher und Verhandlungsführer der Bergleute und gleichzeitig der größten Migranntengruppe, der katholischen Polen in Bottrop. Fünf der verurteilten polnischen Streikleiter von Prosper waren Jankowski, Zurek, Pietrowski, Bujotzek, der schwerverwundete Skupin und getötete Skowroneck. Als die Streikposten von der Volkswehr/Freikorps angegriffen wurde, starb dabei ein Volkswehrangehöriger.

Sie waren ein gefundener Sündenbock für die undurchsichtige Situation des Rathaussturms. Alois Fulneczek wurde verhaftet und am 23.2.1919 durch den Freikorps Lichtschlag, so ein militärischer Bericht, auf der Flucht erschossen (aus Rudolf Isforts Bericht: Aus den Tiefen der Hölle …Quellenangabe unten). Jedoch brachte man ihn wohl, so laut Augenzeugenberichten direkt im Amtsgerichtsgefängnis um.

Persönliches Gedenken an die Gefallenen des Rathaussturms gehört in den Ruhrpottologen-Blog

Auch diese Geschichte des Ruhrpotts gehört mit immer neueren Erkenntnissen durch Sahin Aydin und Dr. Peter Berens zu den Geschichten im Ruhrpottologen-Blog. Jeder kann den Rathausverteidigern, aber auch den Bergleuten, die umgekommen sind, gedenken. Die Rathausverteidiger sind im Eingangsbereich des Westfriedhofs von Bottrop gegenüber des Kriegerdenkmals begraben worden. In meinen Augen sind damals in diesen undurchsichtigen Zeiten zu viele Menschen auf beiden Seiten umgekommen. Ob durch Hunger und schlechten Arbeitsbedürfnissen der Bergleute kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, sowie auch bei den undurchsichtigen ersten Maßnahmen der regierenden Parteien in Stadt, Land und Staat. Ich persönlich Gedenke allen Gefallenen beim Rathaussturm, egal welcher Gesinnung, denn jeder Tote ist einer zu viel gewesen. Der Erste Weltkrieg hat schon zu viele Menschenleben gekostet und Frauen und Eltern Mann und Kind an den Fronten gelassen. Ehren wir also mit Sahin Aydin die bisher gefundenen 72 Toten, egal von welcher Seite, die leider nicht alle mit Namen gefunden werden konnten, jedoch von der Anzahl her durch unterschiedliche Berichten aus Zeitung und Archivmaterial zusammengetragen wurden!

*KAPD: Die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), vertrat während der Weimarer Republik, die linkeantiparlamentaristische und rätekommunistische Positionen. (Quelle: Wikipedia: Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands – Wikipedia)

**USPD: Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) war eine sozialistische Partei im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Von Sozialdemokraten in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges gegründet, war sie eine Abspaltung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) (die sich dann MSPD nannte). Die USPD bestand nach Parteieintritten von SPD-Mitgliedern, Gründungen von parteiinternen Organisationen und deren Abspaltung sowie zahlreichen Aus- bzw. Übertritten in andere Parteien bis 1931. (Quelle, wenn auch der Bericht umstritten ist, jedoch die Partei richtig beschrieben hat im ersten Absatz: Wikipedia: Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands – Wikipedia)

Weiterführende Literatur oder Internetseiten:

Sahin Aydin: sahinaydin

Über den Rathaussturm von Sahin Aydin: sog. Rathaussturm Bottrop – sahinaydin

Über Alois Fulneczek: 100 Jahre Alois Fulneczek – sahinaydin

Buch über Sahin Aydins Forschung zum Rathaussturm

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Von Rudolf Isfort: Aus den Tiefen der Hölle – oder der Bottroper Rathaussturm 1919 – Geschichte und Gegenwart (r-isfort.de)

Text: André Brune /Quellen: Rudolf Isfort/Sahin Aydin/Dr. Peter Berens /Wikipedia – Fotos: André Brune / Infokarten: Sahin Aydin

+Podcast I +Fotos I Patrick Paulick, ein Freund von Lochnagar – im Gedenken an die Gefallenen des I. Weltkrieg aus dem Ruhrgebiet

Zum Gedenken an den Tag des Waffenstillstands am 11.11.1918 habe ich ein besonderes Interview mit Patrick Paulick, ein Mitglied und Helfer im Verein „Friends of Lochnagar“, geführt.

Er erzählt seine Gedanken und Verbindung zu einem besonderen Tag, der jedes Jahr in England und Frankreich bewußt gefeiert wird und sich immer am 11.11. eines jeden Jahres jährt. Normal wird in Deutschland der Beginn der Karnevalszeit gefeiert. England und Frankreich feiern dagegen mit Feuerwerk das Ende des Ersten Weltkriegs. Sie finden es traurig, dass die Deutschen trotz verlorenen Krieges in dieser Form den Waffenstillstand nicht mitfeiern, der verhindert hat, dass noch viele mehr im Kriegsfeld ihr Leben verloren hätten. Deutschland gedenkt bedächtig den Toten des ersten Weltkriegs seit 1919 durch den staatlich eingeführten Volkstrauertag ohne Feuerwerk und ohne Franzosen und Engländer. Aber den noch größeren II. Weltkrieg mit 60 Millionen Opfern inklusive des Holocausts, wird der Tag eher mittlerweile zu einem Gedenktag für Opfer von Gewaltherrschaft der Nazis.

Nur wenige, gerade aus der jungen Generation, empfinden kaum einen Bezug zu der Zeit, dessen Krieg der Ursprung von Tod und Leiden des II. Weltkriegs ist. Darunter zählen auch für den verlorenen I. Weltkrieg einfach propagandistisch von den Nationalsozialisten verantwortlich gemachten Juden. Sechs Millionen Juden wurden systematisch im Holocaust getötet. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Osmanische Regierung im I. Weltkrieg den Holocaust von Armeniern veranlasst hat. Der heute immer noch sehr umstritten im türkischen Parlament diskutiert wird. Und bis heute nicht richtig aufgearbeitet wurde. Das die damaligen Kolonien ebenfalls schon vor dem I. Weltkrieg Holocausts in Teilen von bestimmten Völkern, wie z.B. die Hereros durch die Deutschen Kolonisten, hinter sich haben und Soldaten herangezogen wurden, die für die Länderherren in den Krieg gezogen wurden, für den sie bestimmt nichts konnten und auch in Verdun auf den Schlachtfeldern ihr Leben verloren haben, wird ebenfalls vergessen.

Deutschland bereitet sich am 11.11. eher für den Karneval eines jeden Jahres vor. Karneval ist in Deutschland heute wichtiger als ein unrühmliches Waffenstillstandsabkommen eines verlorenen Krieges. Aber es darf nicht vergessen werden, dass eben durch den damals schrecklichen Krieg mit all seinen Konsequenzen für das 20. Jahrhundert, die heutige Freiheit entstanden ist, die wiederum vom heutigen Terror von Außen bewahrt werden muss.

Der Präsident der Franzosen Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer schüttelten sich die Hände und begannen die jahrhundertealte Feindschaft zu einer Freundschaft umzufunktionieren, um diese Kriege nicht wiederholen zu lassen. Der Freundschaftsvertrag vom 22.1.1963 sollte der Anfang einer gemeinsamen friedlichen Gestaltung von Europa sein. Denn wenn man in den Gängen der in der französischen, britischen oder deutschen Gräben mit noch vorhandenen verrosteten Stacheldraht steht, dann waren sie alle Brüder im Feld, die sich gegenseitig umgebracht haben. Sie haben ihr Leben verloren oder gerade noch überlebt für Machtansprüche von hohen Militärs und Politikern, egal von welcher Seite.

Engländer und Franzosen würden sich über mehr BesucherInnen aus Deutschland freuen, um den Waffenstillstand am 11.11. eines jeden Jahres gemeinsam mit einem Glas Wein, Sekt oder Bier zu feiern und sich über den heutigen gemeinsamen Frieden freuen. Denn die Front verlief nie durch Deutschland, sondern durch Frankreich.

Der Bottroper Patrick Paulick fühlt mit den Franzosen und Engländern. Er hat es sich zur lebenslangen Aufgabe gemacht diesen friedlichen Zusammenhalt zwischen den Ländern durch Ausgrabungen und Instandsetzung von Gegenständen, Gräben und Stollen des ersten Weltkriegs sichtbar zu erhalten. Die Schrecken der vier Jahre anhaltenden Kriegswirren mit über 15 Mio Toten weltweit sollen vorzeigbar bleiben und erinnern. Im Podcast berichtet er über seine Vereinstätigkeit bei „Friends of Lochnagar“ und seine Leidenschaft, das kleine eigene Museum, und wie er durch seinen Vater dazu bewegt wurde:

Video-Podcast bei Youtube mit eingebauter Schweigeminute am Ende:

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Das Bild zeigt von oben nicht unbedingt die Auswirkung der Untertagemine. 90 Meter Breite hat der vulkanartige Kegel. Drumherum findet auf dem ehemaligen Schlachtfeld, wo tausende von Soldatenleichen lagen ganz normale Landwirtschaft statt. Beim Umgraben der Erde findet sich immer wieder etwas aus der Zeit der Schlacht des I. Weltkriegs. Z.T. werden auch Chemiebomben, wie Senfgas, gefunden, die von Deutschen erstmals angewendet wurden – Foto: „Friends of Lochnagar“

Keine 25 Jahre alt und irgendwie anders als seine Generation, das ist Patrick Paulick. Als Knirps wurde er von seinen Eltern nicht nach Mallorca mitgenommen, sondern nach Verdun und an die Somme. Nicht um sich in die Sonne zu legen, sondern um Knochen und Munition aus dem ersten Weltkrieg auszugraben. Seine Generation interessiert sich sehr wenig für Historische Dinge die im Zusammenhang mit dem ersten Weltkrieg stehen. Doch es ist seine Herzensangelegenheit auch Soldaten aus dem Ruhrgebiet, die noch als Vermisst gelten zurückzuführen zu den Familien. Dies hat Patrick mit seinem Vater und Bruder insgesamt fünf Mal geschafft, was nicht einfach ist, wenn man die Narben der Landschaft immer noch sieht. Wege dürfen nach über 100 Jahren nicht verlassen werden. Granaten und auch Minen oder Chemiebomben sind immer noch zu finden, obwohl schon die Wehrmacht im zweiten Weltkrieg durchmarschiert ist.

Patrick Paulick als Kind an der Somme bei seinen ersten Berührungspunkten – Foto: Paulick

Patrick kann französisch sprechen und hat in Frankreich Freunde gefunden. Frankreich ist seine zweite Heimat geworden. Er gehört 100 Jahre nach dem Waffenstillstandsabkommen von 1918 einer Generation an, die in Frieden und Freiheit leben können. Wäre er um 1890 geboren, hätte er sich im zeitgemäßen Patriotismus vielleicht freiwillig gemeldet und für Kaiser und Vaterland gekämpft. Vielleicht wäre er auch im Feld geblieben, zerfetzt von Maschinengewehrkugeln, Minen, Granaten, Chemiebomben oder durch Luftangriffe. Heute kann er mit den Briten und Franzosen lachend am Tisch sitzen in Frieden und Freiheit.

Unbewußt wurde im ersten Weltkrieg um die Freiheit von Heute gekämpft. Doch die Auswirkungen waren erst einmal das Aufblühen von Antisemitismus. Die Juden wurden mit der Dolchstoßlegende, dass die jüdische Heimatfront den Krieg den deutschen Militärs in den Rücken gefallen wären, belegt. Der Nationalsozialismus wurde stark mit einer verabscheuungswürdigen Ideologie, die in einen zweiten Weltkrieg mit 60 Millionen Toten mündete, wovon akribisch mit deutscher Gründlichkeit (Stichwort Wannseekonferenz) der Holocaust, also die sogenannte Endlösung der Juden verfolgt. 6 Millionen wurden in Augen der Nazis vernichtet. Schon die deutsche Worterfindung ist ein Schrecken für die Nachwelt. Doch es gibt weiterhin Leugner und Menschen, die diese Taten der damaligen Generation als ein Kürzel in der Geschichte bezeichnen und endlich ein Schlusstrich gemacht werden müsse.

Die Auswirkungen durch den verlorenen I. Weltkrieg, die wirtschaftlichen Probleme durch die hohen Reparationszahlungen an die Alliierten, weil Deutschland die komplette Schuld auferlegt wurde, ließ diese Ideologie erblühen. Und wie im Mittelalter wurden neben den Juden, Romas und Sintis, Homosexuelle oder politisch anders denkende Personen, für den verlorenen I. Weltkrieg verantwortlich gemacht. Natürlich ist der alte Feind Frankreich und Großbritannien weiter Schuld an dem Leid der Deutschen gewesen. So gesehen ist allein wegen dieser ideologischen Verblendung schon der I. Weltkrieg die Urkatastrophe des 20. Jahrhundert, die sich nach dem II. Weltkrieg noch in die ideologische Aufteilung der demokratischen und den kommunistischen Staaten mit dem Kalten Krieg auswirkte. Heute wirkt sich diese Ideologie weiter in der Verantwortungsverschiebung in der Pandemie, das gewählte Regierungen Freiheiten entnehmen, die jedoch nur die Gesundheit der Bevölkerung schützen möchten.

Die Nazis nutzen diese Verordnungen und drehen den Spieß um. Sie reden von Freiheit für das Volk, das sie selbst unterdrücken würden mit unmenschlichen Verordnungen und eingerichteten neuen Konzentrationslager für Personen die nicht in den ideologischen Kram passte. Hätten die Nazis gesiegt mit ihrer Ideologie, würden wir nicht in dieser Freiheit von Heute leben. Die Zeit der 1920er waren geprägt von Unruhen, Terroranschläge auf unterschiedliche politische Lager und Hunger durch eine horrende Inflation 1923 und Weltwirtschaftskrise von 1929. Der Weg für eine Gewaltherrschaft unter Adolf Hitler wurde geebnet. Der verlorene I. Weltkrieg hat seinen unrühmlichen Teil dazu beigetragen, Freiheit und Demokratie im jungen Deutschland im Keim zu ersticken, aber auch nach 12 Jahren Naziherrschaft und dem II. Weltkrieg, eine neue Möglichkeit, den Weg von Heute, den endgültigen Weg der Weimarer Republik weiter zu gehen, nämlich in Freiheit und Demokratie, die wir heute erleben dürfen. Dafür setzt sich Patrick und seine Familie auch in Zukunft mit Ihrem Tun ein.

Gedenkstein für die Opfer der beiden Weltkriege und dem Rathauskampf 1919 auf dem Westfriedhof in Bottrop – Foto: André Brune

Der Rathaussturm in Bottrop am 19.2.1919 sind Auswirkungen vom I. Weltkrieg und in vielen Teilen der jungen Republik Deutschland passiert
– Foto: André Brune

Der Ruhrpottologe möchte nicht in eine Schublade gesteckt werden. Der Blog soll nicht nur humorvoll Ruhrpottwörter erklären und tolle Menschen, die das Ruhrgebiet von Heute prägen, sondern auch Dinge ansprechen auf Hochdeutsch, wenn es sein muss, die ebenso wichtig in der Geschichte des Ruhrgebiets waren und sind. Deswegen habe ich einen Podcast mit Patrick Paulick zum zweiten Mal gemacht, weil er diesen besonderen Verein unterstützt: „Friends Of Lochnagar“.

Einige Ausgrabungsutensilien und eine französische Uniform des I. Weltkriegs – Foto: Patrick Paulick
Patrick Paulicks Vater Markus bei einem Vortrag über eine Ausgrabungssituation – Foto: Patrick Paulick
Patrick Paulick bei Instandsetzungarbeiten an der Somme mit Vater Markus und Bruder Marcel – Foto: Markus Paulick

Das beeindruckte mich, das ein junger Mann, der mein Sohn sein könnte, sich entschieden hat, das Feld des Todes aufzusuchen, zu graben, aufzuräumen und anderen zu zeigen, wie es war und nicht mehr wiederholt werden sollte. Er baut mit französischen Freunden alte Gräben zu Anschauungszwecke wieder auf. Er zeigt damit die schrecklichen Seiten des Krieges. Und mit unserem Geplauder über den Weltkrieg, Einsichten und Ansichten, machte er mich neugierig, so dass ich vorhabe, obwohl ich schon mal vor Ort war und vor dem Beinhaus von Verdun stand, wo 700000 Soldaten in einem halben Jahr gestorben sind, mitzufahren und zu helfen, wenn es die Zeit erlaubt.

Lochnagar – ein 90 Meter breites Loch und 21 Meter Tiefe mitten in der französischen Landschaft durch eine britische Untertagemine erzeugt. Die Teile sind bis zu 1 km in den Himmel geflogen, berichteten Augenzeugen – Foto: „Friends of Lochnagar“
Der Friedhof und das Beinhaus von Verdun, wo insgesamt auf beiden Seiten der Fronten um die 700000 Soldaten ihr Leben verloren haben – Foto: „Oussaire Douamont“
Im Beinhaus liegen unzählige Knochen und Schädel von gestorbenen nicht mehr auf dem normalen Friedhof zu beerdigenden Soldaten aus der Verdunschlacht zwischen 21.2.1916 und 18.12.1916 – Foto: „Oussuaire Douaumont“
Das Beinhaus der Gedenkstätte für die Opfer von Verdun von Innen – Foto: „Oussuaire Douaumont“
Die Grabenanlage und Stollen „Kronprinz“ in den Argonnen restauriert wieder zugänglich für BesucherInnen. Schülergruppen richteten die Holzwände her – Foto: Michael Prisille
Noch nicht zugänglicher Stollen „Eduard“ – Foto: Michael Prisille

Wer mehr wissen will kann sich folgende Filme auf Youtube ansehen:

Interessante Links und Shownotes zum Podcast:

Patrick Paulick engagiert sich mit seinem Vater im Verein „Friends of Lochnagar“
https://lochnagarcrater.org/conserve/friends-of-lochnagar/
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Eine interessante Internetseite über die Schlacht um Verdun von Michael Prisille:

https://www.verdun14-18.de

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Interessante Youtube-Filme zum Thema

über den Lochnagar:

Mine Explosion – YouTube

Lochnagar Crater – Mines – YouTube

Lochnagar Crater – Attack on La Boisselle – YouTube

This WWI Explosion Left a Hole 70 Feet Deep | Lochnagar Crater – YouTube

The Blast that Obliterated 10,000 Germans – YouTube

 The First World War – Lochnagar Crater – YouTube#

 Der Waffenstillstand 1918 | Karambolage | ARTE – YouTube

über die Schlacht von Verdun:

Verdun is a Human Slaughterhouse | Apocalypse: WWI – YouTube
Verdun Battle Scenes (1916) – YouTube
Schatten von Verdun – YouTube
German Werth – Augenzeugen berichten über: Verdun 1916 (Teil 1) – YouTube
100 Jahre Schlacht von Verdun – YouTube
Verdun – Sie werden nicht durchkommen! Doku (2014) – YouTube
Fort Douaumont – YouTube
The First World War – Verdun – Fort Douaumont – YouTube

VERDUN Heute | Dieser Ort forderte 700000 Opfer – Vlog #8 – YouTube

Allgemeine sehenswerte Dokumentationen über den I. Weltkrieg:
Der Film von Peter Jackson:  They Shall Not Grow Old (OmU) – YouTube

DIE WELT – Die Narbe. 100 Jahre Erster Weltkrieg – Eine Reise an die Front – YouTube
Apokalypse – DER ERSTE WELTKRIEG (1): Pulverfass Europa | HD Doku – YouTube
Apokalypse – DER ERSTE WELTKRIEG (2): Stellungskrieg | HD Doku – YouTube
Apokalypse – DER ERSTE WELTKRIEG (3): Die Hölle der Front | HD Doku – YouTube
Apokalypse – DER ERSTE WELTKRIEG (4): Kriegseintritt der USA | HD Doku – YouTube
Mit Jubel in die Hölle 100 Jahre Erster Weltkrieg Doku HD – YouTube
Der Erste Weltkrieg – Die Gashölle oder auch Apltraum Ypern – Dokumentation – YouTube
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Weitere Informationen im Youtube-Kanal:  Ruhrpottologe André Brune – YouTube 

Heilig-Kreuz Kirche von Gelsenkirchen-Ückendorf

Bin begeistert von der tollen Architektur der Heilig-Kreuz Kirche von Gelsenkirchen-Ückendorf. Von Josef Franke entworfen und 1929 im Stil des Backsteinexpressionismus fertig gestellt. Ungewöhnlich sind die 12 Apostel nur bauhausstilartig angedeutet an der Außenwand.
Frisch renoviert im Multikulti-Stadtteil angrenzend zu Wattenscheid. Hier wird saniert ohne Ende! Und die Kirche gehört ins neue Konzept des Umbaus des Stadtteils.

Gladbeck Schultendorf

Euer Ruhrpottologe André Brune war heute ma in Gladbeck Schultendorf unterwegs. Bei sonnigen 30 Grad schmolz fast dat Eisendenkmal dahin.

Kleinet Video über die Kolonie Rebbelmund oder Siedlung bzw. Stadtteil Schultendorf in Gladbeck. Wenne ma Kolonisten in Gladbeck sehen wills, kommse ma hier gucken. Hier gibebt auch ein Denkmal für die Bergmänner. Die haben hier dat allet geprägt.